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Meike Mieke, 1. Juni 2010

Im Sog des Sujets
Die Camerata Europaea u. d. L. von Maria Makraki präsentierte hoch spannende Werke europäischer Komponisten der Gegenwart. Ein einfaches wie überzeugendes Konzertkonzept brachte frischen Wind in den Konzertsaal: „Trio Europa“, die Konzertreihe der Camerata Europaea präsentiert seit November 2008 Orchesterwerke von Komponisten der Gegenwart aus jeweils drei europäischen Ländern.

Mutig schöpfte das von Maria Makraki künstlerisch angeleitete Ensemble bereits zum vierten Mal aus dem musikalischen Riesenfass „Europa“ und präsentierte am 17. Mai im Berliner Konzerthaus hierzulande kaum bekannte, in ihren Heimatländern jedoch höchst anerkannte Komponisten aus Griechenland, Zypern und Italien. Aufgeführt wurden Werke für Streichorchester und Soli von Periklis Koukos (Griechenland), Silvia Colasanti und Domenico Giannetta (Italien) sowie Sophia Serghi (Zypern).

Deutlich hob sich der erste Konzertteil mit den Werken Serghis, Giannettas und Colasantis von dem zweiten ab, zog das Publikum in einen Sog aus außermusikalischen Bildern und Sujets, die den durchweg jüngeren Komponisten als Inspiration dienten. Das für Streichquartett geschriebene Stück „Erinnerung an Vergangenes“ (Remembrance of things past) der vielfach preisgekrönten zyprischen Komponistin Sophia Serghi erzeugte sogleich eine Spannung, die nicht mehr weichen sollte. Ein langsames Violinsolo (Ulrike Petersen) entführte in eine transzendente Welt aus in Klänge gegossenen Erinnerungen, die sich im Mittelteil dramatisch schichteten und fernöstlich anmutend endeten. Ihre Inspirationen gewann Serghi aus Marcel Prousts „À la recherche du temps perdu“, aus der Dichtung Rainer Maria Rilkes und Stéphane Mallarmés, aus dem Kama Sutra und aus Gedichten eins Sufi-Dichters des 13. Jahrhunderts. Mit äußerster Präzision, ungewöhnlichen Spieltechniken und Feinfühligkeit für die Nuancierungen der Komposition erzeugten die vier Solisten der Camerata Europaea Serghis entrückte Klanglandschaft.

Eine Entdeckung war das Werk des jungen italienischen Nachwuchskomponisten Domenico Gianettas „Chronos“ (in der griechischen Mythologie die Personifizierung der Zeit) für Streichorchester. Beschrieben als „leidenschaftliche Episode, die von zwei mystischen Teilen eingerahmt wird“, übertraf eben diese Leidenschaft nach einer spröden Einleitung über einer „Miniaturzelle aus vier Noten“ alle Erwartungen. Ein Himmel voller Geigen, eine plötzliche überwältigende Harmonie im mittleren Teil des Werkes ließ den Hörer sich erstaunt fragend zurück. Wie wird heute eigentlich komponiert? Zurück zur Harmonie? Experimentieren in Maßen?

Silvia Colasantis Werk „Blutwege“ (Sentieri di sangue“ … ascoltando Friedensreich Hunderwasser) krönte das bisher Gehörte. Es war ihr gelungen, den tiefen Eindruck, den das Hunderwasser-Bild „Rote Zunge – Blutwege – Wasserrauch“ auf sie hinterlassen hatte, an ihre Zuhörer weiter zu geben. Wie ein farbintensives Gemälde fesselten die schwebenden Streicherklänge die Aufmerksamkeit. Ein ins Fleisch schneidendes Violinsolo (Ulrike Petersen), in strahlender Einstimmigkeit vom Ensemble gestützt, leitet in ein Sirren wie von tausend Ameisen über. Herausfordernde Glisssandi werden von Stimme zu Stimme weiter gegeben. Ist es das durch die Adern rauschende Blut, befinden wir uns in einem Bienenstock, oder hören wir aus einem Luftschutzbunker das Pfeifen kurz vor dem Einschlagen von Bomben, wie ein älterer Zuhörer nach dem Konzert es beschrieb? In herausragender Weise vermittelte das Ensemble unter der punktgenauen Leitung von Maria Makraki den Assoziationsreichtum dieser Komposition. Silvia Colasanti gilt in Italien als eine der erfolgreichsten Nachwuchskomponisten. Ihre Werke werden von dem traditionsreichen Verlagshaus Casa Ricordi publiziert.

Mit Verve präsentierte die aus Griechenland stammende künstlerische Leiterin im zweiten Teil des Konzerts ihren Landsmann: Perikli Koukos, einen der erfolgreichsten griechischen Komponisten der Gegenwart. Koukos ist bekennender Eklektizist, der in einer „neuen Tonalität“ seinen kompositorischen Ansatz sucht. Einen tonalen Rahmen um c umspielt er mit fantastischen rhythmischen Ideen und wunderschönen Melodien. Drei Werke – „Adagio für Streicher“, „Zwei Tangos“ und die „Chorika“ für Klavier, Violine und Streicher – des in Athen als Kompositionslehrer und Festivalorganisator wirkenden Komponisten wurden aufgeführt. Am Klavier der Sohn des Komponisten, Dimitris Koukos. An der Solo-Violine eine begeisternde Ulrike Petersen.

Es ist dem bewundernswerten Engagement von Maria Makraki zu verdanken, dass junge Komponisten wie Serghi, Gianetta und Colasanti oder berühmte Landeskomponisten wir Periklis Koukos in der Hauptstadt regelmäßig zu Gehör gebracht werden. Ein reger Austausch mit den Kulturvertretungen der europäischen Länder in Berlin, umfangreiche Partiturensichtungen und – nicht zuletzt – die Einwerbung finanzieller Mittel für das durch öffentliche Mittel geförderte Projektorchester Camerata Europaea gehen jedem Trio-Europa-Konzert voraus.

Die Brillanz und Überzeugungskraft des Ensembles ist Ergebnis der Professionalität seiner Mitglieder und deren Freude an neuen Kompositionen. Die Mitglieder der Camerata Europaea haben jedes Potential für die Bildung eines europäischen Kulturorchesters in Berlin, das noch immer seine institutionelle Anbindung sucht.

Das vierte Trio-Europa-Konzert „Antike und Postmoderne“ gelang dank der freundlichen Unterstützung der Griechischen Botschaft in Berlin, der Fondazione Spinola Banna in Rom sowie der Botschaft der Republik Zypern in Berlin.

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